Gaudenz Silberschmidt ist Direktor der Abteilung Health and Multilateral Partnerships der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – ein Interview.
Herr Silberschmidt, können Sie uns schildern, wie Sie zum Direktor der Abteilung Health and Multilateral Partnershipsder Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden?
Ich bin im Kanton Zürich aufgewachsen, habe in Lausanne und Zürich Medizin studiert und danach mehrere Jahre als Assistenzarzt gearbeitet. Anschliessend habe ich beim Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel mein Interesse an Multilateralismus entdeckt und dann ein Zweitstudium in Staatswissenschaften (Internationalen Beziehungen) in St. Gallen und Genf absolviert. Bei der allerersten Klimakonferenz in Berlin, an der ich als NGO-Vertreter teilgenommen habe, kam ich mit den Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Umwelt in Kontakt, wo ich dann als Exekutivdirektor eingestellt wurde. Ein paar Jahre später übernahm ich die Leitung der Abteilung Internationales im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Durch meine Tätigkeit im Aufbau der Schweizer Gesundheitsaussenpolitik und durch die enge Zusammenarbeit mit dem EDA wurde ich anschliessend zum ersten Schweizer Botschafter für globale Gesundheit ernannt. Die Schweiz war dazumal erst das weltweit zweite Land, welches solch einen Botschafterposten schuf. Vor neun Jahren habe ich auf Anfrage der damaligen Generaldirektorin Margaret Chan ins Sekretariat der WHO gewechselt.
«Die WHO untersucht gesundheitliche Notstände und unterstützt die Länder bei der Krisenbewältigung.»
Können Sie uns kurz erklären, was die WHO ist?
Die WHO ist die UNO-Sonderagentur für Gesundheit und hat ein sehr visionäres und breites Mandat. Einerseits sind wir die Agentur, die Normen und Standards im Gesundheitsbereich festlegt. Hier geht es zum Beispiel um die internationale Klassifizierung von Krankheiten, um die Liste der essenziellen Medikamente, aber auch um Luftverschmutzung und Standards im Bereich der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln. Zusätzlich sind wir auch eine Entwicklungsagentur mit Büros in über 150 Ländern, wo wir die technische Zusammenarbeit fördern und die Entwicklung der Gesundheitssysteme vorantreiben. Und schliesslich sind wir die Weltfeuerwehr. Ob bei einem Tsunami oder bei einer Pandemie, die WHO untersucht gesundheitliche Notstände und unterstützt die Länder bei der Krisenbewältigung. Dieses enorm breite Mandat mit einem lächerlich kleinen Budget von knapp 3 Milliarden Dollar jährlich zu erfüllen, ist eine grosse Herausforderung. Meine Abteilung ist zuständig für die multilateralen Kontakte der WHO. Dazu organisieren wir die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, NGOs, Parlamenten, Partnerschaften und internationalen Organisationen.
Was war das eindrücklichstes Erlebnis Ihrer Karriere?
Einen Monat nachdem ich beim BAG begonnen hatte, erlebten wir 2003 den Höhepunkt der Sars-Epidemie. Die Epidemie mit 800 Toten und rund 60 Milliarden Dollar wirtschaftlichem Schaden war für die internationale Gemeinschaft ein Warnschuss. Es wurde allen klar, dass die internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO überarbeitet und gestärkt werden mussten. Bei der folgenden Revision dieser Vorschriften war ich Verhandlungsleiter auf Schweizer Seite. Da Gesundheit noch keinen so zentralen Stellenwert in der Diplomatie innehatte, hatte ich als sehr junger Verhandler das Privileg, zwischen China und Taiwan und zwischen dem Iran und der USA zu vermitteln. Im ersten Fall ging es darum, wie die praktische Kooperation zwischen Taiwan und der WHO angesichts der Ein-China Politik zu gestalten sei. Im zweiten Fall sollte sichergestellt werden, dass alle Gesundheitsbedrohung, ob sie nun natürlich auftreten oder nicht, von den Vorschriften abgedeckt sind. Anschliessend präsidierte ich auch die Redaktionsgruppe, welche die Resolution der Weltgesundheitsversammlung zur Verabschieding der internationalen Gesundheitsvorschriften verhandelte.
«Wie eng muss oder darf eine UN-Organisation mit gewissen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten, um ein Minimum von Informationsaustausch und Kooperation zu gewährleisten?»
Der WHO wird vorgeworfen zu spät auf die Covid-19-Pandemie reagiert zu haben und zu freundlich mit China umgegangen zu sein. Was entgegnen Sie auf solche Vorwürfe?
Die WHO besteht aus den 194 Mitgliedsstaaten, die von einem Sekretariat unterstützt werden. Dementsprechend sind Entscheider der WHO immer die Entscheide der Mitgliedsstaaten und das Sekretariat kann nicht selbständig handeln. Dazu sind wir eine globale Organisation und müssen daher mit allen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Intern hat ein Gremium die Krisenbewältigung der WHO untersucht und einen Kritikpunkt identifiziert: Die WHO hat den internationalen Gesundheitsnotstand eine Woche zu spät ausgerufen. Diese Kritik ist zu einem gewissen Grad gerechtfertigt, jedoch muss man auch bedenken, dass manche Länder selbst zwei Monate später noch nicht auf die Empfehlungen der WHO reagiert haben. Die Frage, ob die WHO zu eng mit China zusammengearbeitet hat, entspricht einer grundsätzlichen Frage des Multilateralismus. Wie eng muss oder darf eine UN-Organisation mit gewissen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten, um ein Minimum von Informationsaustausch und Kooperation zu gewährleisten? Man könnte auch fragen, was wohl passiert wäre, wenn die WHO auf zu viel Distanz mit China gegangen wäre.
Expert:innen warnen davor, dass das Auftreten einer nächsten globalen Pandemie nur eine Frage der Zeit ist. Was muss nun getan werden?
Alle Expert:innen wissen, dass Pandemien zur Menschheit gehören. Das war schon immer so und wird auch immer so sein. Die Überraschung war daher nicht die Pandemie an sich, sondern wie schlecht und unkoordiniert die internationale Gemeinschaft reagiert hat. Die Frage ist nun, ob wir daraus gelernt haben und uns gut auf die nächste Pandemie vorbereiten. Eine solche Vorbereitung kostet jedoch Geld. Momentan ist eine Pandemievorbereitungskonvention geplant und wir werden dann sehen, ob die Regierungen bereit sind, die nötigen Anpassungen und Investitionen zu leisten, um die WHO für die nächste Pandemie mit genügend Ressourcen auszustatten.
Was braucht es für eine Karriere bei der UNO?
Offenheit, eine solide Ausbildung, breite Erfahrung, Engagement und schliesslich Flexibilität, um die diversen Möglichkeiten zu nutzen.