Aktuelle Misstände bei der UNO

Welches sind die wichtigsten Baustellen der UNO und wie können diese überwunden werden? In seinem neuen Buch Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die UNO? erläutert Andreas Zumach in klarer Sprache, wie es um die UNO steht und welche Themen es in Politik und Gesellschaft diesbezüglich aktuell zu diskutieren gibt. Am Abend des 15. September 2021 gab Herr Zumach im Rahmen des Anfang 2021 lancierten Gesprächsformats «Schweiz-UNO Club» einen vertieften Einblick in sein Werk. Sein Fazit: Die UNO befindet sich momentan in ihrer schwersten Lage seit ihrer Gründung vor über 75 Jahren.

Die Notwendigkeit der UNO

Zumach ist aber dennoch überzeugt vom Mehrwert der Organisation: Seit der Gründung der UNO im Jahr 1945 habe es nachweislich über 265 bewaffnete Konflikte gegeben, doch ohne die UNO «hätten wir weit mehr gehabt,» argumentiert er. Es habe beispielsweise bisher auch keinen ausweitenden Atomkrieg gegeben, obwohl mindestens 31 Fälle dokumentiert seien, in denen es beinahe zu einer atomaren Auseinandersetzung gekommen wäre. Dank der UNO würden heute zudem über hundert zwischenstaatliche Verträge zu Themen wie Abrüstung, Menschenrechten, Sozialstandards und Umwelt existieren.

Klar ist für Zumach auch, dass es nicht die Lösung sein kann, die UNO zu verwerfen, sondern dass es Ursachen gibt, die zu gewissen Missständen geführt haben und die man nun dringend angehen müsse. Denn – so schreibt Zumach auch in seinem Buch: «Tatsächlich bedarf es heute einer funktionierenden und handlungsfähigen Weltorganisation mindestens so dringend wie 1945.» (S. 15)

Die Ursachen für die aktuellen Missstände

Wo liegen also die Ursachen für diese Missstände und was könnte gerade auch die Schweiz zur Stärkung der UNO beitragen? Diese und weitere Fragen haben wir mit Herrn Zumach diskutiert. Zumach nennt vier prinzipielle Ursachen: Finanzen, Strukturen, Kompetenzen und die fehlende Einhaltung von internationalem Völkerrecht. Auf jede Ursache geht er im Detail ein.

Finanzen

Die tägliche Finanzierung der UNO sei hauptsächlich abhängig von Pflichtbeiträgen ihrer Mitgliedsstaaten und diese würden proportional zur Wirtschaftsleistung sowie zur Bevölkerungsstärke eines Mitgliedsstaates entrichtet. Dies führe jedoch zu Ungleichheiten bei den Beiträgen und somit dazu, dass die UNO von manchen Mitgliedsstaaten mehr abhängig sei als von anderen. Um dieses Problem zu lösen, wirft Herr Zumach die Idee einer globalen UNO-Steuer in die Runde. Wenn jede Person pro Jahr beispielsweise $4 an die UNO entrichten würde, wäre das Budget von $30 Milliarden gedeckt.

Strukturen

Hinzu kommt, dass es bei der UNO auch diverse Organisationseinheiten gäbe, die es heutzutage kaum noch brauche. Ein Beispiel dafür ist laut Zumach die Organisation für Industrielle Entwicklung, deren Aufgabe während des 20. Jahrhunderts die industrielle Wirtschaftsförderung der damals sogenannten «Dritten Welt» war. Punkto Strukturen erwähnt Herr Zumach auch die Tatsache, dass sämtliche Modelle zur Umbildung des UNO-Sicherheitsrates bisher gescheitert seien und dass die fünf Vetomächte per Definition jegliche Reformen ablehnen könnten. Für dieses Problem gäbe es kaum eine politische Lösung.

Kompetenzen

Vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie stellt sich laut Zumach hinzukommend die Frage der Kompetenzen der UNO. Welche Aufgaben können die UNO und deren Organisationen tatsächlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten erfüllen? Herr Zumach thematisiert unter anderem die Problematik, dass eine Delegation der Weltgesundheitsorganisation im Dezember 2019 in China vor Ort gewesen sei, dass sie jedoch von den chinesischen Behörden keine Erlaubnis erhalten habe, um die Situation im Land genauer überprüfen zu können. Solche Kompetenzen müssten laufend geklärt werden.

Völkerrecht

Zuletzt sei es problematisch, dass die UNO bei diversen humanitären Interventionen seit Anfang der 1990er Jahre keine klaren Regeln definiert und umgesetzt habe, und somit selbst das internationale Völkerrecht vernachlässigt habe. So sei die Zivilbevölkerung in Ruanda 1994 und in Srebrenica 1995 einerseits völlig im Stich gelassen worden. Andererseits seien völkerrechtswidrige Einsätze der NATO im Kosovo Mitte der 1990er Jahre weitgehend geduldet worden. Ein Lösungsansatz für dieses Problem wäre laut Zumach eine ständige UNO-Truppe, deren Befugnisse vom Sicherheitsrat, oder besser noch, von der UNO-Generalversammlung erteilt würden.

Abschliessend ergibt sich an diesem Abend folglich ein Bild einer internationalen Organisation, deren zukünftige Entwicklung hauptsächlich vom Reformwillen ihrer Mitgliedstaaten abhängig ist. Dies ist jedoch laut Zumach paradoxerweise nicht wirklich einem grundsätzlichen Missstand der UNO geschuldet. Vielmehr komme hier zur Geltung, dass die UNO so konzipiert sei, dass sie nicht mehr könne als Ihre Mitgliedstaaten. Doch was bedeutet dies für die Schweiz, welche seit 2002 Mitglied der UNO ist und nächstes Jahr für einen nicht-ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat kandidiert?

Die Rolle der Schweiz

Die Schweiz war laut Zumach eine besonders aktive Reformbefürworterin innerhalb der UNO, vor allem in den Bereichen der Menschenrechte und der Friedensförderung. Andererseits habe sie manche Rüstungskontrollmechanismen der UNO bisher nicht mitgetragen. Dies könne daran liegen, dass es in der Schweiz keine monolithische Aussenpolitik gegenüber der UNO-Frage gäbe. In Politik und Zivilgesellschaft herrscht laut Zumach ein aufgeschlossener Diskurs zu der Frage, welche Rolle die Schweiz in der UNO spielen solle und welche Funktion die Neutralität dabei für die Schweizer Aussenpolitik habe.

Abschluss

Diese und weitere Fragen werden wir im Rahmen des CH-UNO Clubs fortlaufend aufgreifen und weiterhin aktiv diskutieren. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.


Quellen

Andreas Zumach, 2021. Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die UNO. Zürich: Rotpunktverlag.


Giulia Polatti ist verantwortlich für die Projekte im Bereich der Bildung für die Gesellschaft Schweiz-UNO. Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaften an der Universität Zürich sammelte sie Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen in den Bereichen Verkauf, Kommunikation und digitales Marketing. Zurzeit absolviert sie ihr Masterstudium in European Global Studies an der Universität Basel, wo sie sich auf internationales Recht und Organisationen spezialisiert.

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